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Die Schießhalle Schönhagen-Genert

Die Schießhalle

Der Nagelschmied Heinrich Schönhagen aus dem ca. 16 Kilometer südlich von Detmold gelegenen Schlangen gründete 1886 die mechanische Schießhalle. Von Anfang an bestand sie aus zwei Buden, die sowohl einzeln auf verschiedenen kleineren Märkten als auch zusammen auf einem großen Jahrmarkt aufgebaut werden konnten.

1920 wurde die Schießhalle von seinem Schwager Jacob Genert aus Höxter übernommen. Seit 1933 reiste Fritz Genert mit, der die Bude erbte. Er entschied sich 1956 für den Standort Münster. Da man mit der altmodischen mechanischen Schießhalle nicht mehr genug Geld verdienen konnte, wandelte er in dieser Zeit die breitere der beiden Buden so um, dass man  in ihr Kunstblumen schießen konnte. Bis 1971 aber, als die Bude durch einen modernen, weniger arbeitsintensiven Schießwagen ersetzt wurde, reisten die liebevoll gepflegten Schießfiguren als nostalgische Attraktion immer mit.

Erstaunlicherweise wurde sie nach ihrer Außerdienststellung nicht weggeworfen. 1980 konnte das Stadtmuseum Münster erstmals die beiden Rollbilder „Aufmarsch der Römer“ und „Varusschlacht“ als Leihgaben Fritz Generts in einer Ausstellung zeigen. In der Sendausstellung des Stadtmuseums waren dann 1986 fast alle erhaltenen Schießfiguren und Dekorationsstücke in der teilrekonstruierten Bude zu sehen.

Fritz Genert selbst wirkte damals am Aufbau mit, konnte aber den Erfolg der Ausstellung nicht mehr miterleben. Er verstarb wenige Tage nach der Eröffnung. Seine Frau schenkte die Schießhalle auf seinen Wunsch der Stadt Münster. Seit 1989 hat die Schießbude in einer verkürzt rekonstruierten Form einen festen Platz in der Dauerschausammlung des Stadtmuseums.
Nach jahrelanger Restaurierung aller Teile und der Rekonstruktion des einen Budengerüstes 2012/2013 wurde sie in einer Ausstellung erstmals in fast ganzer Größe mit allen Schießfiguren, Dekorationsstücken und sonstigem Zubehör gezeigt. In ihrer vollständigen Erhaltung ist sie in Deutschland ein einmaliger Schatz. Zwar stammen nicht alle Teile aus der Gründerzeit der Schießhalle, aber alle späteren Ergänzungen wurden stilistisch angepasst, so dass sie ihr einheitliches Erscheinungsbild behielt.

Die Fassaden und Rollbilder

Für die Schießhallen von Heinrich Schönhagen bzw. später Jacob und Fritz Genert sind vier Fassaden und acht Rollbilder, die die inneren Seitenwände der Bude schmückten, erhalten. Über ihre Entstehungszeit, zeitliche Abfolge und Zugehörigkeit zu den zwei Buden lassen sich teilweise nur Vermutungen anstellen. Zum ältesten Bestand der Bude gehören auf jeden Fall drei fast quadratische Bilder mit den für die Schießhallen des 19. Jahrhunderts typischen Jagdszenen. Sie weisen, wie sich bei ihrer Restaurierung zeigte, bis zu vier verschiedene Ausbesserungsphasen auf. Die älteste erhaltene Fassade wird die große „Schieß“-„Stand“- Fassade Heinrich Schönhagens sein, ebenfalls mit Jagdszenen, entstanden wohl um 1900.

Eine Besonderheit der Schießbuden Heinrich Schönhagens waren die Fassaden und Rollbilder mit dem Thema „Varusschlacht“. Sie wurden wohl um 1909/1910 gemalt nach der Vorlage einer Postkartenserie von Arthur Thiele aus dem Jahr 1909, dem Jahr, als man besonders auch in der lippischen Heimat Heinrich Schönhagens das 1900-jährige Jubiläum der Varusschlacht feierte. Da diese Bilder aber sowohl das Militär als auch den Germanenkult verulken, werden sie in der Zeit des Ersten Weltkriegs – und später des Nationalsozialismus, wie ein Foto der Bude von 1940 zeigt – nicht benutzt worden sein.

Von dieser Ausstattung sind nur die Rollbilder „Aufmarsch der Römer“ und „Varusschlacht“ erhalten, während die zugehörigen Fassaden nach dem Ortswechsel Fritz Generts von Höxter nach Münster 1956 nach den alten Vorbildern von dem Maler Fritz Laube, der zu diesem Zweck drei Wintermonate bei der Familie Genert verbrachte, neu geschaffen wurden.

Die Schießscheiben und Schießfiguren

Mechanische Schießhallen waren seit etwa 1880 bis in die 1920er Jahren sehr beliebt beim Publikum der Jahrmärkte. Die Schießfiguren oder -scheiben haben auf ihrer Rückseite eine Mechanik, die bei einem Schuss ins Schwarze der Zielscheibe Bewegungsabläufe – manchmal verbunden mit Geräuschen – auslöst. Die Motive der Figuren und Scheiben sind sehr vielseitig: u.a. handwerkliche Arbeitswelt, Märchen, familiäre Alltagsszenen. Da die Schießhallen eher vom männlichen Jahrmarktspublikum besucht wurden, gab es auch erotische Motive oder Szenen, die ein scheinbar typisches weibliches Verhalten karikierten.

Schießscheiben und -figuren wurden von verschiedenen deutschen und österreichischen Firmen hergestellt, die immer neue Modelle und Motive anboten. Entsprechend der Tradition der Familie Genert schnitt Heinrich Schönhagen seine Schießfiguren aber selbst aus Eisenblech aus und bemalte sie auch selbst. Wahrscheinlich ist, dass er tatsächlich einige Figuren selbst gefertigt hat und für diese nur die Mechaniken kaufte, andere dagegen entweder neu oder gebraucht erwarb. Bisher konnten allerdings in einschlägigen Firmenanzeigen zwar Motive gefunden werden, die ihm als Anregung für seine Figuren gedient haben könnten, aber keine der erhaltenen Figuren ist dort sicher nachweisbar. Andererseits sind die Figuren im Laufe ihrer fast hundertjährigen Nutzung immer wieder ausgebessert und übermalt worden, so dass ihr ursprüngliches Aussehen wohl stark verändert ist.

Die Restaurierung der Schießhalle und der Rollbilder

Die Schießhalle war eine ganz normale Jahrmarktsbude und wurde über drei Generationen den jeweiligen Nutzungsbedingungen angepasst, ergänzt oder auch teilweise erneuert. Daher ist bei keinem der Teile ein Originalzustand vorzufinden. Vielmehr erfahren wir durch die ständige Überarbeitung viel über die Nutzung zu unterschiedlichen Zeiten. Gebrochene Konstruktionshölzer der Schießhalle wurden mit Metallmanschetten stabilisiert, bevor sie ersetzt wurden. Gerissene Zeltplanen wurden geflickt und genäht. Ausrangierte Planen wurden aufgehoben, um sie eventuell noch einmal zu verwenden. Die Metallfassaden wurden mit einer neuen Bemalung versehen, wenn der Zeitgeist wechselte und die Darstellung nicht mehr aktuell genug war. Ebenso wurden die Schießfiguren jeden Winter liebevoll wieder repariert. Die Mechaniken wurden gewartet. Gebrochene Teile der Figuren wurden genietet, Farbabplatzungen farblich angepasst, bis irgendwann die ganze Figur neu gefasst wurde. Hier finden sich manchmal  vier oder fünf Fassungen.

Als fragilste Objekte der Schießhalle sind die Rollbilder anzusehen. Das teilweise fast ein Jahrhundert währende Ein- und Abrollen hat das Material stark geschwächt.
Während der Restaurierung wurden Untersuchungen zum Malschichtaufbau gemacht.  Auch hier bestätigte sich der gleiche Umgang mit dem Material, das dem Gebrauch entsprechend repariert, aber auch übermalt wurde. Es wurden teilweise bis zu siebzehn verschiedene Schichten in den Rahmendekorationen gefunden, die auf Übermalungen hinweisen. Freilegungsproben konnten die älteren Dekorationen zum Vorschein bringen. Dadurch und durch die chemische Bestimmung der verwendeten Materialien können teilweise Rückschlüsse auf die Entstehungszeit und die gleichzeitige Verwendung von Fassaden und Rollbildern gezogen werden. Die Restaurierung  des Holzgerüstes hatte die Rekonstruktion der Bude in ihrer ganzen Größe zum Ziel.  Bei den Dekorationsstücken ging es vor allem um konservatorische Maßnahmen. So wurden z.B. die Rollbildern für ihren besseren Erhalt nach der Reinigung und Festigung der Malerei und der Leinwände auf einen starren Träger montiert. Für alle Teile der Bude galt: Die Spuren des Gebrauchs und die Patina der Objekte erzählen ihre eigene Geschichte, die unbedingt erhaltungswürdig ist.