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70 Jahre CARE-Pakete

Hilfe aus aller Welt für Münster – 70 Jahre CARE-Pakete

Am 15. Juli 1946 erreichten die ersten Lebensmittelspenden durch die Hilfsorganisation CARE Bremerhaven. In den folgenden Monaten und Jahren kamen Millionen solcher Hilfspakete nach Deutschland und halfen auch in Münster, den Hunger in der Nachkriegszeit zu lindern. Das Stadtmuseum Münster nahm das siebzigste Jubiläum der CARE-Pakete zum Anlass, mit der Sonderausstellung „Hilfe aus aller Welt für Münster“ an die Versorgung der Stadt in den Notjahren zu erinnern.

Hunger in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg

Die Nahrungsmittelversorgung in Münster war in der Nachkriegszeit katastrophal. Der durch Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg hatte Europa verwüstet und Nahrung knapp werden lassen. In stark zerstörten Städten wie Münster war dies besonders zu spüren. Am Karfreitag 1945 kam es zu Plünderungen, Diebstähle von Lebensmitteln waren an der Tagesordnung.
In den Trümmern des ehemaligen nationalsozialistischen Deutschen Reichs waren die alliierten Besatzungsmächte für die Versorgung der Bevölkerung zuständig. Die britische Militärregierung und ihre Behörden auf Kreis- und Landesebene bewirtschafteten für Münster alle Nahrungsmittel und hatten für eine geregelte Verteilung zu sorgen.
Die offiziellen Lebensmittelrationen waren knapp bemessen. Da es am Notwendigsten fehlte, mussten die Zuteilungen bis zum Juli 1948 zeitweilig immer wieder gekürzt werden. Wochenweise kündigte das Ernährungsamt der Stadt an, wieviel Kalorien jedem Menschen zustanden, wobei nach Alter, Arbeitsbelastung und anderen Kriterien unterschieden wurde. Absoluter Tiefpunkt waren 672 Kalorien täglich, die im April 1947 – gegen Ende des sogenannten Hungerwinters – zugeteilt werden konnten.

Die Rationierung wurde durch die Ausgabe von Lebensmittelmarken organisiert: Nur mit ihnen konnte man in den Geschäften Nahrungsmittel kaufen. Wer etwas bekam, hatte Glück, obwohl die Produkte oft von minderer Qualität waren. Nicht selten standen Jung und Alt stundenlang vergeblich in langen Schlangen vor Geschäften und Ausgabestellen.
Um die Not zu lindern, rieten Behörden dazu, eigenes Gemüse anzubauen oder Bucheckern und Wildfrüchte zu sammeln. Wer konnte, der ging oder fuhr zum „Hamstern“ aufs Land. In den Dörfern und Bauernschaften des Münsterlandes versuchten die Städter, Besitztümer oder Dienstleistungen gegen Lebensmittel einzutauschen. Für ein paar Kartoffeln wechselte nicht selten ein wertvolles Familienerbstück den Besitzer.

Der Schwarzmarkt in Münster befand sich in Bahnhofsnähe. Hier wurden Lebensmittel zu extrem hohen Preisen verkauft oder gegen Wertgegenstände getauscht. Da die damals geltende Reichsmark kaum mehr etwas wert war, hatten sich Zigaretten zu einer Art Ersatzwährung entwickelt. Die Polizei versuchte vergeblich, Schwarzmarkthändlern und „Schiebern“ durch Razzien und Schnellgerichte Herr zu werden.

Erste Hilfen aus dem Ausland

Der von Deutschland ausgegangene Krieg hatte Millionen Menschen das Leben gekostet und weite Teile Europas zerstört. Trotzdem trafen bereits wenige Monate nach Kriegsende erste Hilfslieferungen für die deutsche Bevölkerung ein. Sie kamen aus europäischen Staaten wie Schweden, der Schweiz oder dem Vatikan sowie aus vielen Ländern in Übersee.
Besonders umfangreich war die Unterstützung aus den USA: Bereits am 27. November 1945 gründeten 22 unterschiedliche Hilfsorganisationen die Gemeinschaft von Wohlfahrtsverbänden für Hilfslieferungen nach Europa, die Cooperative for American Remittances to Europe, abgekürzt CARE. Darüber hinaus schlossen sich elf große Wohlfahrtsverbände im Februar 1946 zum Council of Relief Agencies Licensed to Operate in Germany, kurz CRALOG, zusammen. Alle Nichtregierungsorganisationen brauchten die Genehmigung und aktive Unterstützung der Besatzungsmächte. Der britische Militärgouverneur ließ die Hilfen von CARE im Juni 1946 zu, kurz darauf unterzeichnete er den CRALOG-Vertrag.

Während CRALOG kollektive Hilfe leistete, wollte CARE es Amerikanern ermöglichen, individuelle Hilfspakete an Familie oder Freunde in Europa zu senden. Über CARE konnten Spender selbstgepackte Pakete verschicken oder fertige Lebensmittelpakete für Hilfslieferungen kaufen. Dafür hatte die Organisation zunächst dem US-Militär sogenannte Ten-in-One-Packages abgekauft. Sie enthielten zehn Rationen, sollten also zehn Soldaten für einen Tag verpflegen. Das Militär hatte fünf standardisierte Tagesmenüs entwickelt, für die Zutaten wie Büchsenfleisch, Mehl, Eipulver, Schmalz und Trockenobst benötigt wurden. Außerdem beinhalteten die Kartons zum Beispiel auch löslichen Kaffee, Schokolade, Milchpulver, Zigaretten, Kaugummis und Seife.
Mit dem Frachter American Ranger erreichten am 15. Juli 1946 die ersten 35.700 CARE-Pakete für Deutschland Bremerhaven. Diese Pakete wurden nach Berlin und in die amerikanische Besatzungszone geliefert. Ab dem 1. Oktober konnten auch in der britischen Zone, in der Münster lag, die ersten CARE-Pakete ausgegeben werden.

Der Fund der Pakete im Deutschen Studentenheim

Im Jahr 2006 erhielt das Stadtmuseum zahlreiche leere Hilfspakete aus der Nachkriegszeit geschenkt, die auf dem Dachboden des Deutschen Studentenheims gefunden worden waren. Wie waren die Pakete auf den Dachboden des Gebäudes im Breul 23 gekommen?

Das katholische Studentenheim war im Krieg nur teilweise zerstört worden, und bereits im Sommer 1945 zogen hier mehrere kirchliche Institutionen ein, darunter der Caritasverband der Diözese Münster. Der Deutsche Caritasverband gehörte zum „Zentralausschuß der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege für die Verteilung ausländischer Liebesgaben“, der sich außerdem aus Vertretern der evangelischen Diakonie, der jüdischen Wohlfahrt, des Deutschen Roten Kreuzes und der Arbeiterwohlfahrt zusammensetzte. Sie waren die offiziellen Ansprechpartner für die Hilfslieferungen aus aller Welt und mussten dafür sorgen, dass diese zuverlässig verteilt wurden.
Wer in Münster ein CARE-Paket erhalten sollte, bekam zunächst eine Benachrichtigung per Post, mit der er es dann an einer Verteilungsstelle abholen konnte. Für seine Vermittlungsdienste erhielt jeder Wohlfahrtsverband eine festgelegte Quote an Bonus-Paketen, über die er frei verfügen durfte. Mit ihrem Inhalt konnten bedürftige Einzelpersonen oder Institutionen versorgt werden. Die leeren Kartons, die auf dem Dachboden des Deutschen Studentenheims die Jahre überdauert haben, stammen aus diesem Kontingent an Bonus-Paketen.

Unter den Fundstücken befinden sich etliche Pakete der War Relief Services der National Catholic Welfare Conference, dem US-amerikanischen Gegenstück des deutschen Caritasverbandes. Er sandte ab April 1946 Hilfsgüter nach Deutschland und war sowohl an den Hilfen von CRALOG als auch an CARE beteiligt. Außerdem vermittelte die National Catholic Welfare Conference Spenden aus anderen Ländern nach Deutschland, etwa kostbares Fleisch aus Irland.

Das Prinzip CARE

Die Lebensmittelhilfen aus dem Ausland trugen dazu bei, die Not in der Nachkriegszeit zu lindern. Von der Unterstützung aus aller Welt haben sich vor allem die CARE-Pakete in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingetragen. Dies lag zum einen an der großen Zahl der Pakete. So wurden von 1946 bis 1949 über fünf Millionen Lebensmittelpakete in Deutschland ausgeliefert, bis zur Beendigung des Programms in Deutschland im Jahr 1960 sollten es rund 9,5 Millionen Hilfspakete werden.

Nachdem die von CARE aufgekauften Militärrationen im März 1947 ausgegeben waren, stellte die Organisation verschiedene eigene Lieferungen zusammen, deren Inhalte sie auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort abstimmte. Die Verpackung war ebenso praktisch wie einprägsam: ein extrem haltbarer brauner Karton mit dem gut sichtbaren Aufdruck CARE.

In den Zeiten der Not leisteten auch die leeren Kartons der Hilfslieferungen gute Dienste. Oft wurden sie jahrelang aufbewahrt und zum Beispiel als Vorratsbehälter genutzt. Eine bekannte Fotografie aus dem Bestand des Stadtmuseums zeigt, dass ein leeres CARE-Paket als Wahlurne verwendet wurde. Bei der Vorbereitung der Ausstellung „Hilfe aus aller Welt für Münster“ wurde klar, dass diese Aufnahme neu bewertet werden muss. Anders als bislang angenommen, handelt es sich dabei nicht um ein Foto von der ersten Kommunalwahl im Oktober 1946. Das Aussehen des CARE-Pakets und die Hinweis-Schilder, die im Hintergrund des Bildes zu sehen sind, weisen auf die Kommunalwahl vom 17. Oktober 1948 hin.

Der hohe Wiedererkennungswert der Hilfspakete nutzte auch bei der Öffentlichkeitsarbeit, mit der man um Spender warb. Hatten Amerikaner durch CARE anfangs vor allem an Verwandte und Bekannte Pakete schicken lassen, konnten Spender nach wenigen Monaten auch unbekannte Empfänger bedenken. Aufrecht erhalten blieb jedoch das Prinzip, dass die Empfänger der Pakete den Spender namentlich kennen und sich bei ihm persönlich bedanken sollten.

Care in aller Welt

Nach dem Zweiten Weltkrieg lag der Fokus der Hilfsorganisation auf der Bekämpfung von Hunger in Europa. Rasch weitete CARE aber seine Aktivitäten auf andere notleidende Gegenden der Welt aus, später leistete die Organisation auch Unterstützung auf Gebieten wie Landwirtschaft, Bildung oder Medizin. Seit den 1970er Jahren wurden die beteiligten Hilfsorganisationen international, der Verein CARE Deutschland gründete sich im Jahr 1980. Die Ausweitung der Hilfe spiegelt sich auch im Namen wider, heute steht die Abkürzung CARE für Cooperative for Assistance and Relief Everywhere.

Schulspeisung in Münster

Mehr noch als Erwachsene litten Kinder unter dem Hunger in der Nachkriegszeit. Wie bereits nach dem Ersten Weltkrieg kamen auch 1945 zusätzliche Lebensmittellieferungen für Kinderspeisungen aus Ländern wie Schweden, der Schweiz oder den Vereinigten Staaten. Auch die „Religiöse Gesellschaft der Freunde“, meist Quäker genannt, beteiligte sich erneut mit umfangreichen Nahrungsmittelhilfen. In Münster war das Bewusstsein für deren Unterstützung so hoch, dass die Schulspeisung hier häufig auch Quäkerspeise genannt wurde.
Die Einführung der Kinderspeisung verzögerte sich in Münster bis zum Februar 1946. Vorher fehlte es an Räumlichkeiten für den Schulbetrieb und auch an einer Großküche. Die extra für die Massenspeisung eingerichtete Stadtküche an der Kinderhauser Straße konnte in einem Arbeitsgang 3.500 Liter Speisen kochen.

Anfangs bekamen nur Schulkinder die zusätzliche warme Mahlzeit, ab November 1946 konnten auch Kleinkinder im Alter von drei bis sechs Jahren versorgt werden. Die Eltern hatten bis 1949 einen Unkostenbeitrag zu leisten, der aber im Bedarfsfall von der Stadt Münster übernommen wurde.
Für die Schulspeisung mussten die Kinder einen Becher, Topf, Henkelmann oder ein anderes Behältnis von zu Hause mitbringen. Sie erwartete eine Suppe, ein Eintopf oder Getreidebrei. In der ersten Zeit umfasste die Mahlzeit für jedes Kind einen viertel Liter (250 Milliliter) pro Tag, ab Januar 1947 waren es drei achtel Liter (375 Milliliter). Am 1. Juni 1951 konnte die Stadt Münster die Schulspeisung einstellen. In der fünfjährigen Zeit ihres Bestehens hatte die Stadtküche insgesamt 5.287.077 Liter Kinderspeise ausgegeben.

Normalisierung der Ernährungslage

Das Jahr 1948 brachte für die Lebensmittelversorgung die Wende. Auch Münsteranerinnen und Münsteraner hatten Anteil an positiven wirtschaftlichen Entwicklungen im Westen Deutschlands und Europas, die mit den Schlagworten Marshall-Plan, Bizone und Währungsreform verbunden sind.
Der nach US-Außenminister John C. Marshall benannte Marshall-Plan hieß offiziell European Recovery Program und war ein Wirtschaftsprogramm, mit dem die Vereinigten Staaten den Wiederaufbau Europas förderten. Von 1948 bis 1952 vergaben die USA Kredite in Höhe von rund 14 Milliarden Dollar und stellten Lebensmittel, Waren und Rohstoffe bereit. Nach Westdeutschland flossen etwa 1,4 Milliarden Dollar, die entscheidend dazu beitrugen, die Wirtschaft wiederzubeleben.
Bei der ökonomischen Erholung half auch das gemeinsame Wirtschaftsgebiet, das die amerikanische und die britische Besatzungszone im Januar 1947 gebildet hatten. Diese Bizone vereinfachte den Handel und schuf wichtige Grundlagen für die Gründung der späteren Bundesrepublik. Im April 1949 schloss sich auch die französische Besatzungszone dem gemeinsamen Wirtschaftsgebiet an, das damit zur Trizone wurde.

Unabdingbar war auch, dass die weitgehend wertlos gewordene alte Reichsmark durch eine neue, stabile Währung ersetzt wurde. Am Sonntag, dem 20. Juni 1948, stellten sich überall in den drei westlichen Besatzungszonen Menschen an den amtlichen Ausgabestellen an, um 40 Deutsche Mark in Empfang zu nehmen (einen Monat später gab es weitere 20 DM). Über Nacht füllten sich die Auslagen der Schaufenster und der Schwarzmarkt verschwand. Die Stadt Münster stellte später in einem Verwaltungsbericht fest: „Nach der Währungsreform verbesserte sich die Ernährungslage schlagartig.“
Die staatliche Bewirtschaftung der Lebensmittel konnte nach und nach aufgehoben werden. Zunächst wurden Milch, Käse, Süßwaren und Marmelade freigegeben, Ende 1949 folgten Getreideerzeugnisse und Fleisch, Anfang 1950 waren auch Butter, Fett und Zucker wieder frei verkäuflich.

Weiterführende Literatur (Auswahl):

Auts, Rainer: Opferstock und Sammelbüchse. Die Spendenkampagnen der freien Wohlfahrtspflege vom Ersten Weltkrieg bis in die sechziger Jahre. Paderborn 2002.

CARE Deutschland-Luxemburg e. V.: „Es war wie Weihnachten …“ Erlebnisse mit dem CARE-Paket. Bonn 2016.

Ilgen, Volker: CARE-Paket & Co. Von der Liebesgabe zum Westpaket. Darmstadt 2008.

Schäbitz, Michael / Schollmeier, Axel: Die bitteren Jahre. Krieg, Hunger, Hoffnung. Münster in Fotos 1940 bis 1950. Münster 2005.

Schollmeier, Axel: Ende und Anfang. Münster in Fotos zwischen 1945 und 1949. Münster 2015.

Wollasch, Hans-Josef: Humanitäre Auslandshilfe für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Darstellung und Dokumentation kirchlicher und nichtkirchlicher Hilfen. Freiburg 1976.